Me, myself and I
Ich – eine Andere
Von einem starken Pferderücken getragen, zog ich als Kind durch meine eigenen Landschaften. Ich krallte mich in seiner Mähne fest und ließ den warmen Wind durch meine Haare wehen. Wir waren eine Einheit. Doch dann hob es seine Vorderbeine in die Luft und schmiss mich mit voller Wucht ab, machte kehrt und liess mich auf dem Boden liegen. Ein Fluchttier.
Seitdem muss ich zu Fuss gehen. Mein einziger Begleiter ist ein Stift, der mir als Wanderstock dient, mit dem mein Tritt Halt findet. Langsam. Mit einem schweren Rucksack auf den Schultern, dessen Gewicht zuvor das Pferd trug. Er ist vollgepackt mit Dingen, die mich vor dem verhungern und erfrieren schützen. Das Wichtigste darin, ein Skizzenbuch. Dort, wo ich es am Abend neben mich lege, ist Heimat.
Wenn ich meine Augen schliesse, sehe ich Bilder, die ich am Tage detailreich aufgezeichnet habe. Diese Bilderflut vermischt sich mit strömenden Gedanken und wird immer dann unterbrochen, wenn es auf starke Worte trifft. Genau in diesem Kreuzungs-Moment entspringt die Quelle meiner Ideen.
Das kann ein Satz eines Films sein, wie bei Iñárritus Amores Perros „Wir sind auch das, was wir verloren haben“ oder ein Nebensatz des Vortrages von Joseph Vogl: „Löst das Individuum sich in unsere Zeit, in der Empirie der Statistiken auf?“ Oder kann Textzeilen von Nick Cave, Björk oder Wecker entspringen. Nietzsche sitzt manchmal am Wegesrand und spricht mit mir. Eva Hesses Skulpturen formen Wegweiser. Und Schlingensief schreit mich durch sein Megafon an, ich solle weitergehen, wenn ich nicht mehr kann.
Meine Augen und Ohren sind offen und immer offen. Ich kann sie nicht abdecken, dann fangen sie an zu glühen und verschliessen meine Gedanken mit einem nervenden Einheitston, während mein Körper sich zu einem Stein verformt .
Materialien spielen für mich und meine Arbeiten eine untergeordnete Rolle. Ich wäge ab, was das Mittel sein kann, um meine Idee sichtbar zu machen. Es kann ein Möbelstück werden oder eine Grafik. Ein abgeschlossener Text, ein Foto ein Bild. Ich nähere mich dem, was mein Interesse geweckt hat und versuche dessen Oberfläche darzustellen, um zu forschen, ob es Tiefe gibt.
Mein Schreibtisch behauptet auf den ersten Blick nur ein Kasten mit Licht zu sein. Doch wenn man sich ihm widmet und befühlt, spürt man seinen Herzschlag. Dann entdeckt man die Möglichkeit ihn zu öffnen und er entfaltet sich zu einem Schreibtisch, der Platz genug für zwei hat. Und auf ein Mal wirkt er so leicht, als hätte er Flügel und könnten den Boden, auf dem er steht, verlassen. Zu zweit, ist eine andere Welt möglich.
Zufrieden bin ich immer erst mit einer Arbeit, wenn meine Gedanken dazu aufgebraucht sind. Und nah ist mir mein Werk in dem Moment, wo ich es nicht mehr als von mir geschaffen erkenne. Dann kann ich weiter gehen und muss einen neuen Anfang wagen.
Mein Leben wäre vielleicht geradliniger, wenn ich niemals gefallen wäre. Ich würde noch immer, sicher auf einem fremden Rücken, mich fest an einer Mähne halten – aber es wäre nicht mein leben, sondern dass einer Anderen.